"Es ist gut, dass immer mehr Leuten Inklusion ein Begriff ist"
Menschen mit geistiger Behinderung und Lernschwierigkeiten sprechen über ihre Bedürfnisse und was im Landkreis München besser werden muss
Wenn die S-Bahn Verspätung hat, die Lokführer streiken, der Aufzug kaputt ist und es nicht einmal eine Rampe zum Bahnsteig gibt, dann trifft dies Menschen mit einem Handicap ganz besonders hart. "Durchsagen sind nur schwer verständlich und auch die Beschilderung ist insbesondere für Menschen mit Lernschwierigkeiten oder einer geistigen Behinderung kaum oder gar nicht zu verstehen", sagt Juli, die in einer betreuten Wohngruppe lebt.
Juli ist eine von rund 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmern eines Zukunftsworkshops, zu dem der Landkreis München am vergangenen Wochenende eingeladen hat. Im Landratsamt arbeitet man derzeit an der Erstellung eines Aktionsplanes zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Ziel dabei ist es, einen Handlungsleitfaden zu erstellen, mit dem die Selbständigkeit von Menschen mit einer Behinderung gefördert und ihre aktive Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht werden kann. Viele verschiedene Akteure wie Wohlfahrtsverbände, Vereine und Organisationen, Angehörige von Menschen mit Behinderung und vor allem natürlich auch die unmittelbar Betroffenen selbst, beteiligen sich bereits an dem Prozess. Für Menschen mit einer geistigen Einschränkung war dies die Premiere.
"Zu wenig Betreuer im Wohnheim"
In Kleingruppen diskutierten die Teilnehmer - vom Jugendlichen bis zur Seniorin - zunächst darüber, was aus ihrer Sicht im Landkreis München gut und was schlecht ist. Neben der Mobilität war eines der zentralen Themen der Mangel an barrierefreiem Wohnraum und insbesondere auch an alternativen Wohnformen. Große Engpässe gebe es auch beim Betreuungspersonal, sowohl in den Einrichtungen als auch bei der persönlichen Begleitung. Denn viele Betroffene können sich ohne persönliche Assistenz oder entsprechende Mobilitätstrainings außerhalb eines geschützten Raumes nicht alleine bewegen.
Neben fehlenden Angeboten in leichter Sprache ging es insbesondere auch um finanzielle Fragen - um die niedrigen Löhne in den Werkstätten und darum, dass das Geld vielfach nicht reiche, um am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. "Entweder Du sparst lange auf einen Restaurantbesuch oder Du suchst Dir auf der Speisenkarte das allerbilligste Gericht aus", bemerkte eine Teilnehmerin frustriert. Kein Vermögen haben zu dürfen, ohne dass Leistungen gestrichen werden, und nicht selbst für seine Rente vorsorgen zu können, all das sind Themen, mit denen sich die Workshopteilnehmer ernsthaft auseinandergesetzt haben.
Auch das persönliche Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderung nahm breiten Raum ein. Während sich ein Teil oft bevormundet und willkürlich behandelt fühlt und sogar vielfach beschimpft wird, empfinden andere die persönlichen Kontakte - sei es in der Freizeit, in der Arbeit oder auf der Straße - als äußerst angenehm. "Alle Menschen hier sind Freunde", sagt Stefan, "und jeder wird unterstützt." Auch gemeinsame Freizeitangebote für Menschen mit und ohne Behinderung werden als sehr bereichernd empfunden, doch gebe es davon noch viel zu wenig, sagen die nicht-behinderten Moderatoren, allesamt Fachleute aus dem Bereich der Behindertenarbeit. Dass für viele Leute Inklusion zwischenzeitlich immerhin ein Begriff sei und dass der Landkreis München sich dem Thema ernsthaft annimmt, wird an diesem Tag des öfteren positiv bemerkt.
Fortsetzung folgt
Am Nachmittag widmeten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dann ganz gezielt speziellen Themen wie Mobilität, Wohnen, Arbeit oder Freizeit, Kultur und Sport und artikulierten hierzu ihre Wünsche und Vorstellungen.
Ende Februar wird sich die Gruppe dann ein zweites Mal zusammenfinden, um gemeinsam zu überlegen, was der Landkreis ganz konkret tun kann, um die benannten Schwachstellen zu beheben und welche Wünsche sich erfüllen lassen. Nach der intensiven und konzentrierten Arbeit des ersten Workshoptages darf mit Spannung auf die Ergebnisse gewartet werden.