Windmühlen statt Atomkraftwerke und andere Erkenntnisse über die Machbarkeit der Energiewende

Landkreis München findet beim RegioTwin Partner Steinfurt Austausch auf höchstem Niveau

Foto: Vertreter der Landkreise München und Steinfurt stehen vor einem Ziegelsteingebäude und halten Schilder in die Luft, auf denen Stichworte rund um die Themen "Energie" und "Klimaschutz" zu lesen sind.

Gewinnbringender Austausch: Eine Delegation des Landkreises München informierte sich beim Besuch im Kreis Steinfurt (NRW) über das gelungene Beispiel des Austauschpartners bei der Umsetzung von Maßnahmen im Klimaschutz.

Die Landkreisverwaltung arbeitet derzeit mit Hochdruck an der Vorbereitung eines Beteiligungsprozesses zur Neuausrichtung der eigenen Energievision. Wie können mehr Akteure zur Beteiligung an der Energievision des Landkreises gewonnen werden? Welche Aufgaben kann der Landkreis übernehmen, um die Energiewende effektiver umzusetzen? Wie muss Klima- und Umweltschutz innerhalb einer großen Verwaltung organisiert sein, um alle Abteilungen mit einzubeziehen? Wie bringt man Bürger oder Unternehmen zum aktiven Handeln? Mit diesen Fragen im Gepäck reiste deshalb Ende November 2015 auch eine Delegation aus Kreisräten und Verwaltungsvertretern in den Kreis Steinfurt (NRW), um von den Erfahrungen einer Kommune zu lernen, in der der Klimaschutz praktisch Chefsache ist - und fand Antworten.

Der Landkreis München und der Kreis Steinfurt in Nordrhein-Westfalen sind Teilnehmer des über die nationale Klimaschutzinitiative geförderten Projekts "RegioTwin" und sind in diesem Projekt "Twinning-Partner". Jeweils ein erfahrener Partner steht dabei dem anderen für ein Jahr zur Seite, um diesen bei der Umsetzung von Maßnahmen im Klimaschutz konkret zu begleiten und gegebenenfalls beratend unterstützen zu können. Steinfurt gilt unter Fachleuten als Klassenprimus in Sachen Energiewende. Schon heute gewinnt der Landkreis fast 70 Prozent seines Energiebedarfs aus erneuerbaren Energien die Windparks und Biogasanlagen produzieren. 2018 werden es bereits über 80 Prozent sein und für 2050 steht die völlige Energieautarkie auf dem Plan. Und es kommt noch besser: Die Anlagen sind alle mit Beteiligung der Bürger gebaut worden, die Wertschöpfung, sprich der finanzielle Ertrag, bleibt also im Landkreis.

Was kann sich der Landkreis München vom Kreis Steinfurt abschauen?

Organisation des Klimaschutzes im Landkreis

"Klimaschutz ist eine Querschnittaufgabe und kann nicht über Zuständigkeiten geregelt werden. Sie wird bestimmt von den gesellschaftlichen Herausforderungen". Mit diesen Worten begründete Ulrich Ahlke, der Leiter des Amtes für Klimaschutz und Nachhaltigkeit im Kreis Steinfurt gegenüber den Gästen aus München, warum sein Amt projekt- und themenorientiert, interdisziplinär und ressortübergreifend agieren muss und sich damit durchaus auch mal den Vorwurf einhandele, für gewisse Themen nicht zuständig zu sein. Er entgegne dann häufig, die Aufgabe wäre gesellschaftlich so bedeutend, dass der Kreis sich darum kümmern müsse.

Klimaschutz auf Kreisebene erfordert eine personell gut ausgestattete Fachstelle

Über einen Zeitraum von mehr als 15 Jahren hat der Kreis Steinfurt aus einem Agenda 21-Büro mit 1,5 Mitarbeitern ein Amt für Klimaschutz und Nachhaltigkeit mit 17 Beschäftigten geschaffen. Dieses Amt koordiniert die zahlreichen Netzwerke, initiiert Projekte und stellt Förderanträge, betreibt aktiv Öffentlichkeitsarbeit und ist verantwortlich für die gesamtstrategische Steuerung. Der überwiegende Teil der Stellen wird dabei über Förderprogramme der EU, des Bundes und des Landes Nordrhein-Westfalen finanziert und nicht vom Landkreis selbst. So lautet auch ein Rat aus Steinfurt an den Landkreis München, sich gründlich damit zu befassen, welche Projekte förderbar sind.

"Denn sie tun nicht, was sie wissen ..."

Intensiv hat sich der Kreis Steinfurt mit der Frage befasst, was einzelne Gruppen dazu bewegt, sich aktiv für Klimaschutz zu engagieren. Herausgekommen ist dabei die Erkenntnis, dass die Gesellschaft im Allgemeinen sehr gut über die Gefahren des Klimawandels informiert ist. Eine Motivation, aktiv zu werden, ergibt sich daraus häufig aber nicht. Nach dem Motto "Denn Sie tun nicht, was sie wissen..." trifft der Mensch seine Entscheidungen häufig "aus dem Bauch heraus", d. h. mit Hilfe des limbischen Systems im Gehirn, das für die Emotionen zuständig ist. Um Gruppen zu mobilisieren, müssen Themen deshalb positiv besetzt sein, müssen Erfolge gefeiert oder ein ganz konkreter Nutzen für den Einzelnen deutlich werden. Nicht der Kohlendioxidanstieg in der Atmosphäre veranlasse Unternehmen in erster Linie, ihre Energieeffizienz zu verbessern oder in Erneuerbare Energien zu investieren, sondern beispielsweise das konkrete Wissen darüber, dass aus dem Kreis Steinfurt jährlich etwa 1,47 Mrd. € für Energiekosten abfließen, anstatt im regionalen Wirtschaftskreislauf zu verbleiben.

Die Öffentlichkeitsstrategie des Kreises Steinfurt trägt dieser Erkenntnis Rechnung. Mit Marken wie "energieland 2050" und "Unser Landstrom" können sich alle Bevölkerungsgruppen und Vereinigungen im Kreis Steinfurt identifizieren. Sie appellieren an das "Wir-Gefühl" und besetzen das Engagement für Klimaschutz mit Werten wie Freiheit und Lebensgefühl positiv.

Wissenschaftliches Netzwerk mit Hochschulen

Akzeptanz für das Thema Klimaschutz wird im Kreis Steinfurt auch dadurch erreicht, dass jedem Vorhaben eine fundierte Analyse und strategische Zielsetzung zugrunde liegt. So kann mit Zahlen klar belegt werden, welche Geldströme derzeit allein für Energiekosten aus dem Kreis abfließen oder welche Potenziale für erneuerbare Energien im Kreis noch zur Verfügung stehen. Das dies möglich ist und alle wichtigen Projekte wissenschaftlich begleitet werden können, liegt am Aufbau einer intensiven und inzwischen langjährigen Zusammenarbeit mit den Hochschulen im Kreis Steinfurt, der Westfälischen Wilhelms Universität und der Fachhochschule Münster.

Akteursbeteiligung

Sehr wichtig ist es dem Kreis Steinfurt, viele Akteure in seine Projekte einzubeziehen und sich mit dem Thema Klimaschutz breit in der Gesellschaft zu verankern. Dies gelingt dadurch, dass ein sehr großes Netzwerk mit Vereinen, Gruppen, Verbänden und Institutionen aufgebaut wurde und dadurch viele Bürgerinnen und Bürger auch aktiv mit dem Thema in Berührung gebracht werden konnten. Der Kreis Steinfurt sieht sich nämlich nicht dafür zuständig, einzelne Klimaschutzprojekte operativ umzusetzen, sondern als Impulsgeber und Manager des Prozesses. Neue Projekte werden zwar oft vom Amt für Klimaschutz des Kreises initiiert, aber sobald sie laufen, werden sie in die Verantwortung eines Vereins oder einer eigenständigen Gruppierung abgegeben, die es dann in eigener Verantwortung weiterführen.

Servicestelle für die Kommunen

"Um in der Fläche wirksam zu werden, ist eine Hilfestellung für die Kommunen erforderlich", so Ulrich Ahlke, Amtsleiter Klimaschutz im Kreis Steinfurt. Der Kreis bietet deshalb allen 24 Kommunen seine Dienstleistung an und hält engen Kontakt zu den kommunalen Klimaschutzbeauftragten. Er unterstützt diese bei der Kampagnenarbeit, koordiniert gemeinsame Projekte, kümmert sich für die Kommunen um die Förderanträge und hat extra für die Kommunen eine Servicestelle zur Umsetzung von deren Klimaschutzkonzepten eingerichtet.

Kreative Projektideen

Auf diese Weise sind im Kreis Steinfurt zahlreiche kreative Projektideen entstanden, die auch für den Landkreis München als Vorbild dienen können. Da im Landkreis München etwa 50 Prozent der Energie im gewerblichen Bereich verbraucht wird, sollen künftig beispielsweise die Unternehmen stärker aktiviert werden. Das Unternehmernetzwerk des Kreises Steinfurt ist ein gutes Beispiel dafür, Firmen aus dem Bereich der Energieeffizienz oder der erneuerbaren Energien eine Plattform zu bieten und regionale Wertschöpfung zu fördern. Ebenfalls seit 10 Jahren sehr erfolgreich agiert der Verein "Haus im Glück e. V.", in dem sich die Kommunen, die regionale Handwerkerschaft, Sparkassen und Volksbanken sowie die berufsständischen Organisationen mit dem Ziel zusammengeschlossen haben, ein unabhängiges und qualifiziertes Beratungsangebot zur energetischen Sanierung anzubieten. Mehr zu den Projekten des Kreises Steinfurt finden sie unter www.energieland2050.de.

Nicht alles wird sich im stark prosperierenden Landkreis München ein zu eins umsetzen lassen, sind sich die Kreisrätinnen und Kreisräte sowie die Vertreter des Landratsamtes nach drei Tagen des intensiven Austausches einig.

Dennoch: Die Beteiligung an dem Projekt "RegioTwin" und die Möglichkeit, einem im Klimaschutz sehr erfolgreichen Kreis "über die Schulter schauen" zu können, kommt für den Landkreis München zum richtigen Zeitpunkt. Im ersten Halbjahr 2016 startet der Beteiligungsprozess zur Neuausrichtung und Konkretisierung der eigenen Energievision. Aus dem Kreis Steinfurt wurden hierzu jedenfalls viele kreative Projektideen mitgenommen. Alle Interessierten sind schon jetzt herzlich eingeladen, sich an der inhaltlichen Diskussion zur Umsetzung der Energiewende im Landkreis München zu beteiligen. Unter energievision [at] lra-m.bayern.de###EMAIL###title="E-Mail schreiben" class="link__mail" können Sie sich für die Veranstaltungen anmelden.